sind. Angst ist im Leben vorgesehen. Man kann sie aushalten und gestalten. Man kann ihr sogar mit Humor und Selbstironie begegnen – nicht immer, aber es kann helfen. Dann können wir versuchen, mit der Angst umzugehen. Zu überlegen, was kann ich tun? Einen Krieg kann ich nicht beeinflussen, aber ich kann mich enga- gieren. Eine meiner Mitarbeiterinnen ar- beitet z.B. mit beim Katastrophenschutz. Dadurch, dass sie für die Geflüchteten da ist, hilft sie in erster Linie anderen, aber es gibt ihr auch selbst ein besseres Ge- fühl, als nichts zu tun. Man kann Profil- bilder ändern, Social Media Posts liken, nur 100 km/h auf der Autobahn fahren, die Heizung herunterdrehen. Und daneben gibt es das Aushalten: Halt finden, Gemeinschaft suchen. Über Ängste sprechen ist essentiell. Spricht man nicht über seine Angst, dreht sie sich im Kreis. In dem Moment, wo ich Ängste gegenüber anderen ausspreche, erlebe ich Resonanz. Andere hören mir zu, sie geben mir Antwort, ich bin nicht allein. Biologisch gesehen sind wir Herdentie- re; es ist wichtig für unser Wohlbefinden, Dinge mit anderen teilen zu können, Soli- darität zu geben und zu erfahren. Was steht im Fokus des Resilienzprojekts? In unserem Projekt arbeiten Kol- leg:innen aus den Geistes- und Lebens- wissenschaften eng zusammen. Resilienz wird oft mit Unverwundbarkeit gleich- gesetzt: eine Krise kommt, wird mit links bewältigt, und danach ist alles wie vor- her. Das ist das Bild vom Gummiball, den ich gegen die Wand werfe, der sich beim Aufprallen verformt und nach dem Zurückspringen ist wie zuvor. Menschen sind aber nicht so. Es ist kein Manko, sich von einer Krise berühren zu lassen, darunter auch zu leiden und damit zu ringen. Vielleicht ist es sogar eine Vor- aussetzung, damit sich etwas verändern kann. Krisen sind Teil unseres Lebens, und auch Teil der Art, wie wir unser Le- ben erzählen, unseres Lebensnarrativs. Wir blicken beim Projekt auf den Pro- zess: Was stärkt Menschen in Krisen? Welche Ressourcen und Belastungen ha- ben z.B. Menschen, die während Corona etwa im Gesundheitswesen arbeiten? Das haben wir auch in einer großen On- line-Umfrage untersucht. Welche auch kleinen Dinge helfen individuell? Und vor allem: Was gibt Menschen in einer Krise ein Erleben von Sinn? Wir lernen heutzutage, sehr ergeb- nisorientiert zu arbeiten und denken, „Erst muss ich ein Ziel erreichen, dann wird es mir gut gehen“. Dabei verges- sen wir oft den Wert des Alltags, in dem wir leben. Lebt man stärker am Pro- zess orientiert, dann hat man natürlich auch ein Ziel, schätzt aber auch Dinge und Gefühle auf dem Weg. Etwa Dank- barkeit, eine nette Begegnung. Man er- reicht noch immer sein Ziel, vielleicht ein bisschen langsamer. Aber man hat unterwegs viel mehr Erlebnisse, die hel- fen können, das Angstsystem zu beruhi- gen. Das können Begegnungen, Gefüh- le, Wahrnehmungen sein. Dazu gehört auch, mal abwarten oder vertrauen zu dürfen. Das sind Elemente, die wir für Resilienz ganz wichtig finden. Das klingt nach Achtsamkeit. Ja. Aber Achtsamkeit nicht als Strategie, sondern als Haltung. Acht- samkeit kommt überwiegend aus dem Buddhistischen und dort ist ein Grundsatz: „Kein Leben ohne Leid“. Sie ist nicht dafür da, Angst weg- zumachen. Sondern die Angst zu er- fahren, wahrzunehmen und zu sagen: Ich habe einerseits Angst, darf mich aber zugleich beschenkt fühlen. Man muss nicht erst daran arbeiten, die Angst zu entfernen, bevor man etwas anderes tut. Sonst kann man sich total verrennen. Wie nach 2015 kommen Menschen zu uns, die Krieg, Vertreibung, Hunger erlebt haben. Warum trifft uns die Ukraine mehr als Syrien? In beiden Fällen kamen Menschen aus Kriegsgebieten zu uns. Es mag uns manchmal erschrecken, dass uns Syrien weniger berührt als die Ukraine, weil es räumlich weiter weg ist. Das ist aber gut erklärbar, denn biologisch springt Angst schneller an, wenn etwas näher ist. Trotzdem können wir natürlich mehr als unsere Biologie, das heißt wir kön- nen uns genauso für Syrien engagieren. Wie verändern solche Erfahrungen das Leben? Zwischen 20 und 40 Prozent der Men- schen mit Kriegserfahrung entwickeln eine posttraumatische Belastungsstö- rung. Sie ist durch Hypervigilanz, Intru- sionen und Vermeidung gekennzeichnet: Man ist schreckhaft und reizbar. Man erlebt sich plötzlich aufdrängende Erin- nerungen. Das ist nicht: Beim Gedanken daran werde ich traurig. Sondern: Ich rieche Brandgeruch oder höre Lärm, und fühle mich ganz unvermittelt in die trau- matische Situation zurückversetzt. Dar- aufhin versucht man, solche „Trigger“ zu vermeiden: Schreckliche Erlebnisse im Krankenhaus führen dann z.B. dazu, dass man nicht mehr ins Krankenhaus geht. Posttraumatische Belastungsstörungen können und müssen psychotherapeutisch behandelt werden. Kann das wieder besser werden? geprägt. Wir sind alle durch unsere Le- benserfahrungen Leichte Ängste kann unser Angstsystem wieder verlernen. Das haben wir in der ersten Corona-Welle erlebt, als wir erst stark verunsichert waren, was noch sicher ist und was nicht. Dann gab es eine neue Normalität, wir gewöhnten uns daran, trotz objektiv gleichbleibender Bedro- hung, weil wir merkten: Im Alltag ist mir nichts passiert. Bei einer massiv erfahrenen Lebensbedrohung verankern sich Ängste ganz anders. Unser Angst- system weiß: Diese Erfahrung darf man nicht mehr vergessen. Sollte sie wieder passieren, muss ich mich sofort retten. Die Angst bleibt. Die Grundsicherheit, dieses „mir (oder uns) wird schon nichts passieren“, verschwindet. Um ein solches Grundvertrauen wie- derzufinden, wieder eine innere Balance zu finden, ist es ein weiter Weg. Ich muss ja jetzt mit dem Wissen leben, dass das Leben beides sein kann: geborgen, aber auch völlig bodenlos, und beides ist wahr. Dafür brauche ich die Chance, das Er- lebte einzuordnen, ihm irgendwie einen Sinn zu verleihen. Es kann durchaus sein, dass das Erlebte widersinnig bleibt, eine Widerfahrnis. Aber dass der Sinn darin liegt, wieder Kontakt mit Menschen zu haben und sich verbunden fühlen zu kön- nen mit einer Hoffnung, einem Glauben, einem Wertesystem oder auch der Natur. Müssen wir dafür die Kapazitäten bei Behandlungen erhöhen? Ja, das werden wir müssen. Es gibt hier in NRW und Rheinland-Pfalz ein relativ gutes Netzwerk, auf- gebaut vor allem durch niedergelassene Kolleg:innen, für die Trauma-Behandlung von Flutopfern. Aber dieses Netzwerk wäre völlig über- fordert mit den Ukraine-Geflüch- teten. Nicht jeder, aber viele werden Hilfe brauchen. Wir benötigen deshalb mehr Kapazi- täten für Psycho- therapie. IM GESPRÄCH MIT SEBASTIAN ECKERT e d . x o b r u o o C l : o t o F forsch 1/2022 UNIVERSITÄT BONN 29